Schindelbecks Jazz Blog

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Samstag, November 12, 2005

Enjoy Jazz: Vincent Courtois Trio

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Da ich diese Ankündigung selbst geschrieben habe, darf ich sie auch zitieren ;-):


Es sind die kleinen, feinen Konzerte mit Entdeckungspotential, die Enjoy Jazz zu einem besonderen Festival machen. Da treten die weniger bekannten Musiker auf, mit selten gehörten Instrumenten und eigensinnigen Konzepten. Es sind auch die mutigeren Konzerte für die Veranstalter, jene mit der reduzierten Bestuhlung in die eine meist kleinere Schar an Zuhörern mit offenen Ohren und aufnahmebereitem Geist pilgert.

Es war gar nicht mal so eine kleine Schar an Besuchern - eine positive Überraschung und schön, daß ich mich irrte ;-)


Eigentlich erstaunlich, dass das Lauschen über die Grenze nach Frankreich oft schon ein Horchen ins Unbekannte ist. Der Cellist Courtois ist den Freunden avantgardistischer Musik zwar kein Unbekannter aber der Status als Franzose (Sprachbarriere!) und Vertreter freier Musik (schwierig!) sichern ihm hierzulande den permanenten Geheimtip-Status. Nicht weniger gilt das für die weiteren Mitspieler des Trios, die Pianistin Sylvie Courvoisier und den Saxofonisten Ellery Eskelin aus New York.

Einst gefragt, was er besonders liebe, nannte Vincent Courtois an erster Stelle: „Improvisation“. Und auf der Liste der Dinge, die er weniger goutiert, stand „unnötige Proben“. Kein schlecht gespannter Rahmen für spannende Konzerte.



Vincent Courtois und Sylvie Courvoisier stammen beide aus dem Jahrgang 1968. Geboren zu einer Zeit als sich die klassische Jazz-Geschichte ihrem Ende näherte (der Platz reicht nicht aus, auch nur ansatzweise über den Begriff „Jazz“ zu philosophieren), standen sie früh in ihren musikalischen Karrieren vor der Frage wohin die musikalische Reise gehen sollte: den ausgetretenen Pfaden der Altvorderen zu folgen oder neue, eigene Wege einzuschlagen.

Um originelle Musik zu spielen musste Vincent Courtois also einerseits das Korsett der klassischen Ausbildung verlassen – ja, der erste der berühmten Grenzgänge – andererseits konnte er aber in leergespielten Jazz-Klischees kaum eine Heimat finden. Was er vom Jazz an- und mitgenommen hat und was letztlich Mittelpunkt seines Schaffens wurde, ist die Improvisation. Seine und die Improvisation des Trios ist eine radikale, bei der es nicht um die Variation bekannter Themen geht oder um die Aneinanderreihung von Solos. Courtois will, wie er sagt, dem „Moment des Solos den sakralen Charakter“ nehmen. Sein Ideal ist das gemeinsame Improvisieren, die Freiheit auf der Bühne das zu spielen was dem Leben und Erleben der Beteiligten entspricht.

Vielleicht fasst der Begriff „instant composing“ diesen Prozess schärfer als der Begriff „Improvisation“, bei dem oft die Frage im Hintergrund lauert, über „was“ da denn improvisiert wird. Das Trio Vincent Courtois will nicht über bekanntes improvisieren sondern jeder Musiker aus sich heraus über das, was ihn bewegt. Oder wie Ellery Eskelin es einmal formulierte: „Für mich ist Originalität keine intellektuelle Übung. Ich versuche das, was an mir und meinem Leben einzigartig sein mag, in Musik zu übersetzen“.

Der Tenorsaxofonist Ellery Eskelin entwickelte seinen eigenständigen Stil seit Anfang der 80er Jahre in New York. Dort spielte in den 80er und 90er-Jahren die fortschrittlichste Musik. Zunehmend entfernt von den traditionellen Jazz-Wurzeln, mit den Prämissen neu - originell – frei von Jazz-Konventionen. Es war die Musik, die der Entwicklung des europäischen Jazz am nächsten stand und folgerichtig fand Eskelin, wie viele andere aus diesem Umfeld häufig den Weg nach Europa.

Umgekehrt zog Sylvie Courvoisier in den später 90er Jahren nach New York, ihrem Ehemann, dem Violinisten Mark Feldman folgend, und fand dort rasch Anschluss an die Avantgarde-Szene um John Zorn

Dass der Ansatz jedes einzelnen der Mitglieder des Trios, seine individuelle Lebenswelt in der Musik mitzuteilen, nicht zum musikalischem Autismus führt, dafür steht eine andere Aussage von Vincent Courtois: „Ich möchte nicht mit Musikern ringen, ich mag es, wenn (auf der Bühne) eine Atmosphäre der Freundschaft und Zusammengehörigkeit herrscht.“ Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl ist der Kitt des Trios. Verständnis darüber, daß größtmögliche Freiheit bei maximaler Kommunikation die gemeinsame Basis bildet. Ein Trio unter Gleichen, ohne begleitenden Bass oder ein stützendes Schlagzeug. Jeder der drei Musiker ist autark und doch gefordert und gewillt in die Einheit zu investieren. Reibungen und Spannungen sind notwendiger Bestandteil dieses Konzepts aber auch Momente reiner Übereinstimmung und Poesie.

Keine leichte Kost erwartet die Hörer des Vincent Courtois Trios aber Musik, die niemals zur Routine erstarrt. Sinnliches Experimentieren und strukturelle Stringenz - eine Herausforderung nicht nur für die Musiker sondern auch für ihr Publikum.

...und so war es denn auch tatsächlich. Eine Herausforderung und eine erfrischende Einladung sich auf das musikalische Terrain dreier Ausnahme-Musiker zu begeben.



Weitere Fotos des Konzerts in dieser Galerie


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